Beratung für den Neuanfang

19.05.2023 | Schweinfurt
Foto: Stefanie Mößlein

Die Kolping Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle ist auch für die Beratung der Inhaftierten in der Justizvollzugsanstalt Schweinfurt zuständig. Sie berät die Klienten in der JVA zu ihren Schulden, hört sich ihre persönliche Geschichte an, gibt Ratschläge und kümmert sich um ihre Verbindlichkeiten. Es werden die Gläubiger angeschrieben und die Familien, der Häftlinge im Strafvollzug werden kontaktiert, um konkrete Informationen zu der jeweiligen Verschuldungssituation zu erhalten. Zudem spricht sie auch mit den zuständigen Behörden und der Staatsanwaltschaft. Sie ist damit ein Sprachrohr ihrer Klienten.

Angelika Balko ist die zuständige Beraterin in der Justizvollzugsanstalt. Wir haben mit ihr genauer über ihren Beratungsalltag gesprochen.

Frau Balko, Sie haben die Beratung in der JVA im April 2021 übernommen. Wie lief ihr erster Tag ab?

Als ich die Beratung in der JVA von einer Kollegin übernommen habe, war ich sehr aufgeregt, da ich nicht wusste, was auf mich zukommt und mit welchen Menschen ich konfrontiert werde. Als ich anfangs in der JVA begrüßt worden bin, habe ich mich zunächst nach einem Notfallknopf erkundigt, um mich für Krisensituationen absichern zu können. Daraufhin wurde mir erklärt, dass es diesen Knopf zwar gibt, jedoch seien die Klienten, die zu mir in die Beratung kommen „harmlos“. Alles in allem war der erste Tag in der JVA zwar sehr aufregend, jedoch habe ich mich weder an diesem, noch an irgendeinem anderen Tag bedroht gefühlt.

Mein erster Klient hat mir sehr viel von sich erzählt und das Gespräch habe ich durchgehend als angenehm empfunden. Der Nächste erzählte mir, dass sich seine Schulden auf Millionenhöhe belaufen, das ist auch in der „normalen“ Beratungspraxis eher ungewöhnlich.

Gibt es noch andere Unterschiede zwischen Klienten in der Beratungsstelle und in der JVA?

Ich berate sehr gerne in der Justizvollzugsanstalt. Ich möchte nicht wissen, weshalb die Klienten in Haft sind, da dies meist auch nicht relevant für die Beratung ist. Es ist immer wieder aufregend und spannend, in die JVA zu gehen. Die Klienten erzählen mir von ihrem Leben, welches sie vor der Haft geführt haben, vom Leben in Haft, vom Essen, von der Einsamkeit, von der Sehnsucht, ihre Lieben wieder in die Arme nehmen zu können oder frei zu sein und natürlich von ihren Schulden. Ich höre ihnen zu, versuche Kraft zu geben, Mut zu spenden und Ratschläge zu geben, wie sie am besten in ihrer jetzigen Situation mit Ihren Schulden umgehen können.

Es kommen auch Klienten in die Beratung, die entweder keine Deutschkenntnisse haben oder sehr schlecht deutsch sprechen. In diesen Fällen bin ich immer wieder dankbar, wenn Mitinsassen mir das Anliegen der Klienten übersetzen. Manchmal stellt sich dann heraus, dass die Übersetzer selbst auch ein Anliegen haben, welches sie mit mir besprechen möchten.

Wie stehen Ihre JVA-Klienten zu ihrer Situation?

Die meisten sehen ein, warum sie in Haft sind und bereuen die Tat. Viele sehen den Haftaufenthalt auch als einen Neuanfang. Ganz besonders ist mir die folgende Aussage eines Klienten in Erinnerung geblieben: „Frau Balko, ich glaube es war gut, dass ich jetzt in Haft gekommen bin. Ich kann nach der Haft einen Neuanfang starten. Wer weiß, was mit mir passiert wäre, wenn ich mein Leben so weitergeführt hätte. Vielleicht wäre ich heute nicht mehr am Leben.“ Diese positive Denkweise hat mich sehr beeindruckt.

Haben Ihre JVA-Klienten auch die Möglichkeit einer weiteren Beratung, wenn sie aus der Haft entlassen werden?

Wenn Klienten mir berichten, dass sie normalerweise im Landkreis oder in der Stadt Schweinfurt wohnen, biete ich Ihnen auch an, mich nach der Haft in unserer Kolping Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle zu kontaktieren, sodass wir die Schulden weiterhin gemeinsam angehen können.

Das Kolping-Team bietet ja auch Insolvenzberatung an. Wird diese ebenso nachgefragt?

Eine Insolvenz in der JVA ist in Schweinfurt häufig noch nicht sinnvoll, da die Mehrheit der Klienten nur in Untersuchungshaft sitzt und evtl. nach kurzer Zeit verlegt wird. Außerdem sind während der Haft nur wenige Unterlagen vorhanden. Dies müsste im Falle einer Insolvenz im Voraus geklärt werden, da die entsprechende Zuständigkeit des Insolvenzgerichts ermittelt und die Vollständigkeit aller Forderungen bewerkstelligt werden sollte.

Sind die Beratungsinhalte auch sonst in der JVA speziell?

Ich differenziere nicht zwischen Klienten/Klientinnen, die mich in meinem Büro aufsuchen oder die in Haft sind. Wenn ich berate oder für die KlientInnen tätig werde, dann verurteile ich sie nicht, sondern versuche unvoreingenommen an den Fall heranzugehen.

Die Besonderheit bei den Klienten in Haft ist, dass sie sich meist nicht selbst um ihre Angelegenheiten kümmern können, da sie eingeschränktes Besuchsrecht und Telefonzeiten haben. Dies muss ich für sie übernehmen. Ich prüfe Versicherungsverträge, recherchiere, verhandele mit der Staatsanwaltschaft oder anderen Behörden z.B. über die Stundung der Schulden. Ich kontaktiere die Familien, der Häftlinge im Strafvollzug und erfrage, ob noch Unterlagen vorhanden sind, mit denen ich arbeiten kann oder berate diese, welche Aufgaben sie für ihre Angehörigen dringend erledigen sollten (z.B. Pfändungsschutzkonto errichten). Die Familien sind sehr dankbar, dass ihre Angehörigen eine Ansprechperson haben, die sich der Schuldensituation widmet.

Die Zusammenarbeit unterschiedlichster Menschen ist offensichtlich sehr wichtig…

Meine Aufgaben in der Justizvollzugsanstalt sind vielfältig. Die eigentliche Arbeit besteht darin, die Schulden zu regulieren und dahingehend zu beraten. Jedoch muss ich auch oft zu Einzelfällen recherchieren, die nur wenige Inhaftierte betreffen und zudem muss ich auch oft emotionalen Beistand leisten. Ich bin für jegliche Unterstützung, die ich von den Familien, den Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalt, der Staatsanwaltschaft, den Behörden und den Insassen bekomme, sehr dankbar. Sie zeigen Verständnis für die Situation der Klienten und helfen ihnen ebenfalls, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen.

Was nehmen Sie aus Ihrer Arbeit in der JVA für sich persönlich mit?

So aufregend und spannend die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt auch ist, sobald ich das Gefängnis verlasse, wird mir jedes Mal bewusst, wie schön es ist, selbstbestimmt und in Freiheit zu leben.

Angelika Balko/Stefanie Nowak