Radieschen und eine Cocktailparty

30.09.2021 | Bergrheinfeld

Am Nachmittag nach dem Unterricht haben die Schülerinnen und Schüler die freie Wahl zwischen tollen Angeboten: In der Offenen Ganztagsschule (OGS) wird gekickt, gebastelt und gewerkelt. "Gerade haben wir Radieschen gepflanzt", verrät Marion Kirchhof von der OGS an der Mittelschule Holderhecke in Bergrheinfeld. Die gelernte Kinderpflegerin leitet den Offenen Ganztag seit zwei Jahren. Das tut sie als Mitarbeiterin des Kolping-Bildungszentrums Schweinfurt, das sich seit über zehn Jahren für den Ganztag in der Region engagiert.

Das erste Vierteljahr 2021 stand in Bergrheinfeld noch ganz im Zeichen der Pandemie. "Zu Jahresbeginn hatten wir ein einziges Kind in der Notbetreuung", berichtet Kirchhof. Normalerweise kümmert sie sich mit ihren Kollegen um 21 Kinder. Hinzu kommen 55 Kinder im Gebundenen Ganztag - also in jener Ganztagsform mit fließenden Übergängen zwischen Unterricht und zusätzlichem pädagogischen Angebot. Allmählich kamen immer mehr Kinder in die Notbetreuung. Die Arbeit war weitaus intensiver als sonst. Auf Trab hielten nicht zuletzt die nahezu täglich wechselnden Vorgaben des Kultusministeriums zum Verhalten in der Pandemie.

Viele Freiheiten, kein Genörgel

Vor einem Jahr zweifelte manch einer noch daran, dass es absehbar gelingen würde, das Virus zu besiegen. Viele Erwachsene hatten Angst. "Aber auch die Kinder", sagt Tanja Nickola-Spahn, die In Bad Brückenau für die Ganztagsschule verantwortlich ist. Wie schütze ich mich und meine Familie? "Das war im ersten Lockdown bei uns in der Notbetreuung ein sehr präsentes Thema", so die Kolping-Mitarbeiterin. Erstaunt war sie, mit welcher Disziplin sich die Kinder an die Regeln hielten: Keiner nörgelte! Jedenfalls die allermeiste Zeit. Nie jedoch wird Nickola-Spahn den kleinen Jungen vergessen, der sich auf dem Spielplatz die Maske vom Gesicht riss und stöhnte: "Ich kann nicht mehr!"

Während man sich vormittags auf den Unterrichtsstoff konzentrieren muss, was manchmal ganz schön anstrengend ist, kann man am Nachmittag in der OGS nach den Hausaufgabe seinen Passionen frönen. "Ich zum Beispiel spiele gern Fußball", sagt Niilo aus der achten Klasse. Niilo mag es, sich zu bewegen. Sport gehört neben Mathe zu seinen Lieblingsfächern. Zum Fußballverein möchte er allerdings nicht gehen: "Dann bin ich zu festgelegt, muss zu bestimmten Zeiten trainieren." In der OGS hat er gerade im Moment, wo alles sehr flexibel gehandhabt wird, die Freiheit, dann zu kicken, wenn er Lust hat. Vorausgesetzt, er findet Spielpartner.

Gute Gespräche, gelebte Werte

Das positive Feedback der Schüler auf das OGS-Angebot sei ein großer Ansporn für sie, sagt Marion Kirchhof, die vor knapp vier Jahren in die Ganztagsschularbeit in Bergrheinfeld einstieg. Manchmal schauen Schulabgänger vorbei, um kurz mit ihr zu plauschen. Sie signalisieren ihr, wie gut ihnen der Austausch mit Kirchhof  während ihrer OGS-Zeit getan hat. Dieser Austausch war in den letzten Monaten durch die überschaubare Gruppengröße intensiver denn je. So kleine Gruppen würden sich die Pädagoginnen immer wünschen. In den Gesprächen mit den Kindern wurden Fragen erörtert. "Corona-Anekdoten" erzählt. Und es wurden, ganz nebenbei, Werte vermittelt.

Abfällige Bemerkungen oder eine respektlose Tonart würden in der OGS nie geduldet. Aber das kommt auch nicht vor, sagt Marion Kirchhof. Selbst eine Schülerin mit Down-Syndrom ist ganz selbstverständlich integriert. Er würde das Mädchen sofort verteidigen, würde jemand etwas Blödes zu ihr sagen, meint Niilo. Dass das Mädchen "anders" ist, stört den Achtklässler überhaupt nicht. Das sei typisch für die OGS-Schüler in Bergrheinfeld, so Kirchhof: "Man hilft sich gegenseitig und schließt über die Jahrgangstufen hinweg Freundschaften." Soweit das eben geht in Corona-Zeiten. Wo nach wie vor Abstand zu anderen gewahrt werden muss.

Einfach mal chillen

Ob Bewegung, Bastelarbeit oder Entspannung: Die Kolping-Mitarbeiter, die täglich rund 1.500 Kinder und Jugendliche an 25 Standorten betreuen, bemühen sich gerade in der Pandemie, so viel Normalität wie möglich herzustellen. Dafür wurde das bisherige Konzept umgemodelt. "Bislang hatten sich die Schüler bei uns für ein halbes Jahr in feste Arbeitsgruppen eingetragen", erklärt Tanja Nickola-Spahn. In Bad Brückenau liegt der Fokus auf Bewegungsangeboten. Eben die waren erheblich eingeschränkt. Doch der Wegfall konnte mit anderen, attraktiven Angeboten gut kompensiert werden: "Wobei wir die Kinder auch einfach mal chillen lassen."

Niilo ist unter der Woche gern ganztätig in der Schule, am Samstag und Sonntag genießt er umso mehr die Zeit mit seiner Familie. "Wir haben einen Hund, ganz jung ist er noch", verrät der Junge. Am Wochenende wird er an die Leine gelegt. Und los geht's mit Mama und Papa raus ins Grüne. Für viele Familien ist es eine riesiger Erleichterung, dass sie ihre Kinder unter der Woche gut betreut wissen. "Oft arbeiten beide Elternteile", sagt Marion Kirchhof. Sie hätten keine Zeit, sich um die Hausaufgaben von Sohn oder Tochter zu kümmern. Oder am Nachmittag mit ihren Kindern so spannende Sachen zu unternehmen, wie sie in den verschiedene OGS-Arbeitsgruppen angeboten werden.

Morgen zum Beispiel wird es in Bergrheinfeld eine kleine Cocktailparty geben. Natürlich nicht mit "Bloody Mary" oder "Fluffy Duck". "Unser Cocktail besteht aus Säften, Sahne und Kokosmilch", berichtet Marion Kirchhof. Und wird garantiert richtig lecker schmecken.

Pat Christ