Stoff aufholen, Perspektiven schaffen

08.06.2020 | Bad Neustadt

Im Rahmen von kooperativ durchgeführten Berufsintegrationsklassen und Berufsvorbereitungsjahren sind Kolping-Kolleginnen und Kollegen auch an beruflichen Schulen aktiv. Wie funktionierte das in der Zeit der Schulschließung? Und wie geht es jetzt weiter?

„In der ersten Lehrerkonferenz nach Schließung der Schulen, war bei allen Kolleginnen und Kollegen die Anspannung zu spüren. Keiner wusste irgendetwas.“ So erinnert sich Antonia Voll, sozialpädagogische Betreuerin des Berufsvorbereitungsjahrs (BVJ), an den Anfang der Corona-Zeit. Eine Zeit, die für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kolping-Bildungszentrums mit besonderen Herausforderungen – aber auch mit besonders beeindruckenden Erlebnissen verbunden war und ist.

An der Jakob-Preh-Berufsschule in Bad Neustadt, dem Einsatzort von Frau Voll, haben sich nach dem ersten „Schock“ der Schulschließung die Arbeitsabläufe gut eingependelt. Tanja Schneider, ebenfalls eine Kolping-Kollegin und als Lehrkraft des BVJ für die Berufsorientierung und -vorbereitung zuständig, sammelte die Arbeitsaufträge aller Lehrkräfte, leitete sie an die Schülerinnen und Schüler weiter und kontrollierte den Rücklauf. Zusätzlich standen Frau Voll und Frau Schneider in sehr engem Kontakt zu den Jugendlichen. Sie halfen per E-Mail und Telefon bei fachlichen Fragen zu den Hausaufgaben, waren aber für sie und ihre Eltern vor allem Seelentröster und verlässlicher Ansprechpartner bei den großen Unsicherheiten zur beruflichen Zukunft.

Zusagen für Ausbildungsplätze – auch in der Krise

Schließlich besuchen die Schülerinnen und Schüler das BVJ, um nach diesem Schuljahr eine Ausbildung beginnen zu können. Bei vielen hatte das schon funktioniert, sie haben ihren Ausbildungsvertrag in der Tasche. Einige aber noch nicht. Und Praktika, in den vergangenen Monaten ein probates Mittel um die Unternehmen von Kompetenzen und Einsatzwillen zu überzeugen, konnten auf einmal nicht mehr stattfinden. Was jetzt?

„Drei Ausbildungsbetriebe meldeten zurück, sie würden unseren Schülern gerade jetzt, wo sie ja eigentlich gar keine Chance mehr auf die Zukunft haben, gerne die Möglichkeit geben, eine Ausbildung in ihren Betrieben zu absolvieren. Auch ohne Praktikum, welches nicht mehr erlaubt war,“ freut sich Tanja Schneider. Dieses „Jetzt erst recht“-Gefühl hat auch Antonia Voll allenthalben wahrgenommen: „Als Fazit würde ich sogar sagen, alle haben noch besser zusammen gearbeitet und die Anspannung ist einer ‚neuen Realität‘ gewichen.“

Lernen zuhause als große Herausforderung

 „Neue Realität“ war auch das Stichwort für viele andere Kolleginnen und Kollegen an Berufsschulen: Ähnlich dem BVJ-Team in Bad Neustadt verteilten auch die Kolping-Lehrkräfte und -Sozialpädagogen der Berufsintegrationsklassen (BIK) ihr aufwendig gestaltetes Unterrichtsmaterial an die Schüler. Per Post, E-Mail oder Onlineplattform. Teilweise auch durch persönlichen Posteinwurf. Daneben lief viel Begleitung und Betreuung über das Telefon. Nicht immer einfach, da alle Schülerinnen und Schüler der Berufsintegrationsklassen gerade erst dabei sind, die deutsche Sprache zu lernen. „Ein etwas frustrierendes Erlebnis war ein Telefongespräch mit einem Schüler, der mich kaum verstand aber ein Problem hatte. Auch mit den Eltern konnte ich nicht kommunizieren, da sie mich nicht verstanden“, berichtet Melani Daniels. Sie ist für die sozialpädagogische Betreuung der Berufsintegrationsklasse an der Adolf-Kolping-Schule in Schweinfurt, einer Förderberufsschule, zuständig.

Nicht nur die Sprache, auch die Technik stellte für die Schülerinnen und Schüler – und damit auch für die Lehrkräfte und sozialpädagogischen Betreuer – eine Hürde da. „In der Regel besitzen unsere Schülerinnen und Schüler zuhause keinen  Computer oder Laptop, geschweige denn einen Drucker. Auch die Medienkompetenz ist, Ausnahmen bestätigen die Regel, doch eher gering“, berichtet Mark-Björn Geibel, Sozialpädagogischer Betreuer und Deutschlehrer der Berufsintegrationsklassen an der Ludwig-Erhard-Berufsschule in Schweinfurt. So kam es auch, dass der Rücklauf der Aufgaben für das Lernen zuhause insgesamt nicht besonders gut war: „Oft mussten wir per Anruf oder E-Mail das Bearbeiten der Aufgaben massiv einfordern.“

Umso schöner sind die Erfahrungen mit Schülern, die den Widrigkeiten trotzen. Wolfgang Röder, Fachbereichsleiter Berufsintegrationsklassen an der Ludwig-Erhard-Berufsschule, schildert voller Begeisterung die Bemühungen eines eher lernschwachen Schülers. Dieser kommt ursprünglich aus Rumänien, lebt in Schweinfurt in einer sehr schwierigen Wohnsituation. Doch in der Zeit der Schulschließung gab er sein Bestes, kümmerte sich weitgehend eigeninitiativ um die Bearbeitung der zugeschickten Aufgaben und erzielte dabei gute Erfolge.

Endlich wieder treffen

Die Erleichterung, dass die Schülerinnen und Schüler noch vor den Pfingstferien zumindest tageweise in die Schulen zurückkehren durften, war bei allen Lehrkräften groß. „Die meisten BIK-Schülerinnen und Schüler brauchen unbedingt einen kontinuierlichen Präsenzunterricht mit einer hohen Kontrolle. Selbstständiges Erarbeiten von Lernstoff fällt dem Gros der jungen Migrantinnen und Migranten eher schwer“, konstatiert Mark-Björn Geibel, „Lernzuwachs ist unter diesen Bedingungen kaum möglich.“ Entsprechend lag nun an der Ludwig-Erhard-Schule erstmal der Fokus des – zunächst verkürzten –  Präsenzunterrichts auf der Nachbereitung der eigentlich zuhause erarbeiteten Inhalte.

Als mit Teil-Öffnung der Schulen auch wieder eine sozialpädagogische Betreuung möglich wurde, stand an der Jakob-Preh-Berufsschule zunächst die gemeinsame Aufarbeitung der Zeit der Kontaktbeschränkungen auf dem Plan. Auch Einzelgespräche sind jetzt, unter Einhaltung der Hygienevorschriften, an den Schulen wieder möglich. Eine große Erleichterung – und ein großer Gewinn für die Schülerinnen und Schüler.

Der Blick geht dabei vor allem in die Zukunft. „Den Hauptfokus lege ich jetzt darauf, die Schülerinnen und Schüler in Ausbildung oder Arbeit zu bekommen“, berichtet Melani Daniels. „Wir möchten ihnen eine Perspektive nach dem Schuljahr ermöglichen.“

Stefanie Nowak