Der lange Weg zum ersten Job

11.07.2017 | Bad Neustadt
Shirley Schwarz hilft Heifa Kossa dabei, einen Einstieg in den Beruf der Krankenschwester zu finden. Bild: Kolping-Bildungszentrum Schweinfurt

Bad Neustadt. In dem dicken Buch, das vor Shirley Schwarz und Heifa Kossa liegt, sind farbige Bilder von medizinischen Instrumenten zu sehen. Shirley Schwarz erklärt ihrer Klientin, was „Tupferzangen“, „Klemmen“ und „Pinzetten“ sind. Heifa Kossa, die in Syrien Literatur studierte und nun in Bad Neustadt versuchen möchte, Krankenschwester zu werden, wird von Schwarz innerhalb der im Dezember gestarteten Initiative „Jobbegleiter“ des Kolping-Bildungszentrums Schweinfurt betreut.

Früher waren Romananalysen und Gedichtinterpretationen Heifa Kossas Spezialität. Doch der Krieg verhinderte, dass die heute 25-Jährige ihr Studium zu Ende führen und als Literaturwissenschaftlerin arbeiten konnte. In Deutschland kann sie mit dem Wissen, das sie sich in Syrien angeeignet hat, gar nichts anfangen. Doch Heifa Kossa möchte sich so bald wie möglich eine eigene Existenz in ihrer Wahlheimat aufbauen. Darum ist sie bereit, umzuswitchen und in einen Beruf hineinzuschnuppern, mit dem sie bisher noch nichts zu tun hatte: Die junge Frau absolviert gerade ein Praktikum in einer Arztpraxis.

„Am Vormittag arbeitet sie in der Praxis, nachmittags besucht sie einen Integrationskurs“, erläutert Jobbegleiterin Shirley Schwarz, die sich aktuell um zehn Flüchtlinge in den Regionen Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld kümmert. Die Arbeit bei dem Arzt macht der jungen Frau Spaß. Ihr Chef wiederum ist von Heifa Kossa begeistert. Möglicherweise kann Kossa nach ihrem Praktikum als Minijobberin in die Praxis einsteigen. Im Frühjahr 2018 möchte sie einen B2-Deutschkurs belegen. Läuft alles gut, könnte die Syrerin im September nächsten Jahres eine Ausbildung als Krankenschwester oder Arzthelferin beginnen.

Heifa Kossa gehört zu den besonders unkomplizierten „Fällen“, mit denen es Shirley Schwarz zu tun hat. „Je höher die Qualifizierung ist, die ein Flüchtling mitbringt, umso schwieriger ist die Vermittlung“, meint die Erzieherin, die nur ein Jahr jünger ist als ihre Klientin aus Syrien. Flüchtlinge, die in ihrer Heimat bereits eine gute Position hatten, verkraften es oft nicht, plötzlich Hilfstätigkeiten ausführen zu müssen.

So brach ein Landsmann von Heifa Kossa sein Praktikum in einem Krankenhaus nach wenigen Tagen wieder ab. „Er hatte in Syrien bereits zehn Jahre als Krankenpfleger gearbeitet“, schildert Schwarz. Damals durfte er völlig eigenverantwortlich agieren. In Deutschland war es ihm nur noch erlaubt, das Pflegeteam der Klinik bei einfachen Handgriffen zu unterstützen.

„Er darf zum Beispiel Essen ausgeben“, so Schwarz. In Syrien hingegen hatte der junge Mann selbstverständlich auch Spritzen verpasst: „Doch sein Abschluss wurde hier nicht anerkannt.“ Darum muss der Syrer beruflich noch mal ganz von vorn beginnen. Wozu er momentan nicht bereit ist.

Leicht ist der Weg in den ersten Job für Flüchtlinge nicht. Alles ist in Deutschland anders als in ihrem Heimatland. Sie verstehen nicht, wie sie mit der deutschen Bürokratie umgehen sollen, müssen sich anstrengen, um ein Sprachniveau zu erreichen, das sie für den Berufseinstieg befähigt, auch die Wohnsituation ist oft prekär. Shirley Schwarz berät und begleitet ihre Klienten im Alter zwischen 25 und 54 Jahren ganzheitlich: „Erst, wenn sie emotional stabil sind, ist es ihnen möglich, in die Arbeitswelt einzusteigen.“

Sensibel spürt Schwarz den Sorgen und Nöten der Flüchtlinge nach, beherzt packt sie Probleme mit an. Einem Mann aus Syrien half sie zum Beispiel, seine Familie nachkommen zu lassen. „Die Frau steckte mit ihren fünf kleinen Töchtern in der Türkei fest“, berichtet sie. Die Sache wühlte den Mann verständlicherweise so sehr auf, dass er sich unmöglich auf einen Arbeitsplatz hätte konzentrieren können. Schwarz beließ es nicht dabei, ihm Mut zu machen, dass sicher bald alles gut werden würde. Sie kontaktierte die deutsche Botschaft in der Türkei und schaffte es, die Familie zu vereinen.

Auch mit dem Jobcenter hat sie immer wieder zu tun. So unterstützte sie einen Mann, der wegen des Fehlverhaltens einer seiner Söhne, die mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft leben, harsch sanktioniert wurde. Auch dieser Mann hätte unmöglich ein neues Arbeitsverhältnis beginnen können, solange dieses Problem virulent war.

Bis Ende 2018 sollen 50 Flüchtlinge aus Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld durch die Jobbegleiterin in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden. Mit 18 Flüchtlingen hatte oder hat Schwarz bisher Kontakt. Finanziert wird die Maßnahme aus Mitteln des Bayerischen Arbeitsmarktfonds. Das Projekt, sagt Schwarz, findet auf rein freiwilliger Basis statt: „Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen werden uns die Flüchtlinge nicht zugewiesen.“ Die Projektteilnehmer schätzen das Angebot gerade wegen der Freiwilligkeit: „Manche kontaktieren mich täglich.“

Zum Angebot Integration in Arbeit: Jobbegleiter

Pat Christ